Kein Stern stört den Anderen
Vergeblich bot der Autodidakt Otmar Burtscher (1894–1966) zu Lebzeiten seine Bilder in Sonntag, der Heimat seiner Familie, zum Verkauf an. Nun lädt eine Sonderausstellung des Museums Großes Walsertal zwei Sommer lang zur Auseinandersetzung mit seiner Kunst ein. Neben den Werken, die Kennerinnen sowie Kolleginnen der malenden Zunft bis heute staunen lassen, stellt Kurator Willibald Feinig einen schwer kriegsverletzten Menschen in den Mittelpunkt, der für die Kunst gelebt hat. Für die einen war der in Altach wohnende Mann mit dem Walserhut „dr‘ närsch Otmar“, andere sahen in ihm einen Philosophen und „Propheten der einfachen Lebenskultur“.
Otmar Burtschers bildhafte Formulierung „Kein Stern stört den Andern“ ist titelgebend für die Sonderausstellung des Museums Großes Walsertal mit Werken des „naiven“ Malers, dessen Vater aus Sonntag stammte. Besucherinnen des Museums können die intensiven, durch ihre Eigenart einnehmenden Bilder und tiefsinnigen Gedanken des Künstlers auf sich wirken lassen. Die von Willibald Feinig kuratierte Ausstellung findet in Zusammenarbeit mit dem vorarlberg museum und dem Festival „Walserherbst“ statt. Zeitgleich ist die erste Monografie zu Otmar Burtscher erschienen und setzt ihm ein Denkmal – mit einer Einführung von Herausgeber Willibald Feinig sowie Beiträgen von Elfriede Plangg und Kathrin Dünser. Die Kunsthistorikerin räumt dem Maler seinen Platz in der regionalen und internationalen Art-brut-Landschaft ein. Ein wichtiger Teil sowohl der Monografie wie der Ausstellung und der Begleitveranstaltungen sind Texte Burtschers, die aus dessen Notiz- und Tagebüchern stammen. Die Kunst und die Lebenswelt des Mannes mit dem Walserhut bilden im Museum in Sonntag eine Einheit.
Der Autodidakt schuf Stillleben, die für Willibald Feinig „so gar nicht still sind“. Im Gegenteil, es handle sich um farbstarke Bilder von großer Kraft: „Abenteuerliche Inszenierungen, Draperien, Kulissen ersetzen bei Otmar Burtscher Proportion und Perspektive.“ Ein Lieblingsmotiv des Künstlers waren Sträuße, oft in einer Art feierlicher Erhabenheit komponiert. „Blumen sind der Saum am Mantel Gottes“, schrieb Burtscher auf die Rückseite eines seiner Bilder. Als weitere Sujets bildete der Künstler auf unzähligen Spanplatten, die er vorne und hinten bemalte, berühmte Vorlagen ab (Dürer, Böcklin), populäre Ansichten nach Postkartenmotiven (Château de Chillon, Salzburg), oder er wählte religiöse Motive. Vielen dürfte sein Vorder- und Hinterglasbild „Kreuzigung“ bekannt sein, das eine Sponsorin von der Götzner Galerie Haemmerle für das umgebaute Altacher Pfarrzentrum erwarb. Im Museum Großes Walsertal werden ca. 30 Schlüsselwerke Otmar Burtschers zu sehen sein. Darunter solche, die bisher noch nie ausgestellt worden sind.
Der junge Mann, der vor dem Ersten Weltkrieg Trompete und Geige spielte, erlitt 1917 an der italienischen Front einen Kopfschuss. Vergeblich versuchte der Kriegsinvalide, Musik zum Beruf zu machen. Er verdingte sich als Nachseher in Stickereien und half, Kulissen für das Laientheater im Altacher Vereinshaus zu bemalen – sein Einstieg ins bildnerische Schaffen? Nach dem Zweiten Weltkrieg widmete er sich ganz der Kunst, machte Nachtschicht an Stickmaschinen, um sich Farben leisten zu können. „Alle Welt hat Kunst, impulsiv liegt das in Allem“, schrieb Burtscher in seinen Aufzeichnungen. In seinem Häuschen am Altacher Dorfrand sei kein Balken unbemalt geblieben, erzählen Altacherinnen, die den unfreiwilligen Eremiten einst als Jugendliche besuchten; seine Werke bot er dort in einem „Schau-Fenster“ zum Verkauf an, tauschte sie gegen Lebensmittel ein. Für viele war er ein Sonderling, der in keine ihrer Schubladen passte. Nicht für Walter Khüny, den ersten „modernen“ Maler der Kummenbergregion, der den Laienkünstler entdeckte und begleitete. Künstler wie Norbert Grebmer, Galerist Ewald Haemmerle, der Kunsterzieher Franz Bertel und viele andere in diesem Umfeld Tätige besuchten Otmar Burtscher in dessen „dreckstarrendem Salon“. Arbeiten des Laienkünstlers wurden 1966 in St. Gallen gezeigt, weitere Ausstellungen folgten. Als Geheimtipp gehandelt, wurden seine Werke zu Spekulationsobjekten.
Heute beinahe in Vergessenheit geraten, rückt Burtscher durch die Ausstellung in Sonntag in ein neues Licht. Der Autodidakt, der bescheiden in „häuslicher Ästhetik“ für seine Kunst lebte, war auch ein religiöser Mensch ohne Scheuklappen und ein tiefsinniger Denker. Seine Texte machen einen wichtigen Bestandteil der Sonderausstellung und des Begleitprogramms des Museums Großes Walsertal aus. Bereits ein halbes Jahrhundert vor Energiekrisen und Treibhauseffekt warnte er seine Zeitgenossinnen in Manifesten vor „Wegwerfproduktion und Konsum, unberufenem Reisen und maßloser Konkurrenz“, wie Feinig erläutert. Otmar Burtschers Gedanken zur Erde als einzigem Platz, den wir haben, zur Sonne als unerschöpflicher Energiequelle und zu einem toleranten Zusammenleben, fasst er immer wieder in dem einen Sinnbild zusammen: „Kein Stern stört den Andern“.