Angelika Kauffmann post mortem
museum magazin 24/2019




Angelika Kauffmann post mortem. Zur Sammlung des vorarlberg museums

Text: Peter Melichar

Als Angelika Kauffmann (1741–1807) in Rom starb, existierte Vorarlberg in der heutigen Form noch nicht. Es gab aber auch noch keine Museen in der heutigen Form. In den großen Metropolen gab es einige Gemäldegalerien, fürstliche, königliche oder kaiserliche Sammlungen, in Paris diverse Kunstsalons und selbstverständlich private Sammlungen der begüterten Adeligen oder bürgerlichen Unternehmer. Als sich in Vorarlberg 50 Jahre nach dem Tod der Künstlerin, im Jahr 1857, sich der Landesmuseumsverein konstituierte, war das Werk Kauffmanns in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Sehr viele Arbeiten waren in England, meist noch im Besitz jener Familien, deren Vorfahren von Angelika Kauffmann porträtiert worden waren. Viele Werke, vor allem aus ihrem späteren Leben, befanden sich in Italien. Andere bedeutende Arbeiten waren in Russland, hauptsächlich in St. Petersburg, in den Sammlungen der Zarenfamilie. Doch auch in ihrem Nachlass befanden sich noch viele Werke, die Johann (Giovanni) Kaufmann (1751–1829) als Erbe zugesprochen bekommen hatte. Er war ein Cousin der Künstlerin und hatte schon seit 1795 – dem Jahr, in dem ihr Ehemann gestorben war – in Rom bei ihr gelebt und sie in ihren letzten Lebensjahren unterstützt. Nach ihrem Tod hatte er den Auftrag, ihr Erbe zu verwalten.

Angelika Kauffmann hatte ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen, unter anderem zahlreiche Kunstwerke, teils von ihr, teils von anderen Künstlern, darunter auch von großen Meistern. Giovanni Kaufmann versuchte, die Wertgegenstände zu veräußern und den letzten Willen seiner Cousine umzusetzen. Dazu gehörte auch eine Stiftung zugunsten der Armen von Schwarzenberg, die „Jahrtags- und Verwandtschafts-Armenstiftung“, die er 1821 einrichtete, deren Funktionieren er aber selbst nicht mehr erlebte. Erst zwölf Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1841, erhielt sie Rechtskraft. 1909 wurde die Stiftung – nach immerhin 68-jährigem Bestand – wieder aufgelöst, wohl weil das Stiftungskapital von ursprünglich 7.000 Gulden (heute wären das zwischen 140.000 und 160.000 Euro) aufgebraucht war. Diese Stiftung sollte sich aus dem Verkauf ihrer Kunstsammlung speisen, Angelika Kauffmann hatte immerhin selbst Werke von Leonardo da Vinci, Tizian, Bordone, Veronese und Correggio erworben.

Über Giovanni Kaufmann und seine testamentarischen Verfügungen kam eine ganze Reihe von Kunstwerken und Dokumenten an die Vorarlberger Verwandtschaft. Als er 1829, also 22 Jahre nach dem Tod Angelika Kauffmanns, starb, gingen die Bilder, die sich in seinem Nachlass befanden, an eine Erbengemeinschaft in Vorarlberg. Der Bevollmächtigte dieser Erben war ein Neffe des Giovanni Kaufmann, nämlich Johann Kaufmann (1781–1873), ein in Dornbirn ansässiger Uhrmacher. Er hatte schon einige Jahre zuvor, 1822, Rom besucht und damals einige Dinge, darunter eine von Christopher Hewetson gefertigte Bildnisbüste Angelika Kauffmanns, mitgebracht. 1829 reiste Kaufmann anlässlich des Todes seines Onkels wiederum nach Rom. Er versuchte noch selbst einiges zu verkaufen, bot auch auf der Rückreise dem 1823 gegründeten Landes-museum Ferdinandeum in Innsbruck Werke an. Zwei Selbstbildnisse und zwei weitere Historiengemälde Angelika Kauffmanns kamen so ins Innsbrucker Museum. Was übrig blieb, deponierte er bei der Verwandtschaft in Vorarlberg, unter anderem im Gasthaus Schäfle in Schwarzenberg.

Vorarlberg gehörte damals noch zum Kronland Tirol-Vorarlberg und erlangte erst nach und nach seine Eigenständigkeit. Wichtige Schritte in staatsrechtlicher Hinsicht waren dabei die Erlangung eines eigenen Landtages 1861 und schließlich die Erklärung der Selbständigkeit am 3. November 1918. Nicht in staatsrechtlicher, wohl aber in kultureller Hinsicht war die Gründung eines Vorarlberger Landesmuseumsvereins ebenfalls ein wichtiger Schritt zur Verdichtung einer Landesidentität. Das Museum, das Kunstwerke, volkskundliche Artefakte und Dokumente sammelte, bildete einen Reflexionsraum für ein Wir-Gefühl, nun konzentriert auf das Territorium Vorarlberg. Bislang war ja das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum für das gesamte Kronland zuständig gewesen, und es besitzt daher auch einige interessante Objekte mit einer vorarlbergischen Provenienz. Da Angelika Kauffmann unbestritten unter allen Künstlerinnen und Künstlern in der Region mit Abstand die prominenteste war, lag es nahe, sich an sie zu erinnern. Dass sie in ihrem Leben insgesamt nur zwei Mal in Vorarlberg auf Besuch war und als Italienerin, als Schweizerin und als Deutsche galt, war eine Herausforderung, aber kein Hindernis. Nach seiner Gründung 1857 wandte sich der Museumsverein daher an die Verwandtschaft der Kauffmann. 1859 konnte einiges erworben werden. Im 1860 veröffentlichten Jahresbericht schrieb der Obmann: „Es wird Ihnen lieb zu wissen sein von der Hand unserer Angelika Kaufmann einiges gewonnen zu haben. Die Gelegenheit dazu ergab sich unversehens, es musste schnell abgeschloßen werden, Gefahr lag im Verzuge, unsere Mittel, sie waren schon ganz auf der Neige, konnten die Gefahr nicht abwenden, eine vaterlandsfreundliche Hand kam da unserer Verlegenheit zu Hilfe.“ Mit einem Wort: Man musste sich das Geld borgen. Was hatte man erworben? Im Bericht von 1860 heißt es: „Von Angelika Kauffmann besitzt der Verein: eine Skizze, sie selbst in Gesellschaft von andern vorstellend; eine zweite, Amor und Psyche; die Portraits des Königs und der Königin von Neapel; den Kopf eines betenden Mannes; einen Türkenkopf; das Portrait des Abbé Jacquier und das noch nicht vollendete Bild eines jungen Kriegers; ferner über 100 nach ihren Gemälden zu London ausgegebenen Kupferstiche, darunter mehrere von ihr selbst radirte, sowie endlich mehrere ihrer Handzeichnungen.“

Tatsächlich konnte der Museumsverein 1859 auf einen Schlag sechs Gemälde und etwa 100 Kupferstiche von Johann Kaufmann erwerben und weitere zwei Gemälde von Karoline und Antonie Graff, einem Geschwisterpaar aus Feldkirch (Amor und Psyche, 1792; Skizze zum Familienbildnis Bariatinskaja, 1791). Damit war ein Grundstock gelegt. Doch dann geschah lange Zeit nichts. Erst 1904 kam ein Gemälde Angelika Kauffmanns (Ganymed und der Adler, 1793) als Vermächtnis von Frau Mary Fairbairn, geb. Douglas in den Besitz des Museums. Aus Anlass ihres 100. Todestages wurde der Künstlerin eine Ausstellung gewidmet, die vom 15. Juli bis zum 15. September 1908 im Landesmuseum zu sehen war. Über die Schwierigkeiten, eine derartige Ausstellung zu machen, wurde berichtet: „Da die bedeutendsten und populärsten Schöpfungen unserer einheimischen Künstlerin sich zumeist im Privatbesitz, oder in den großen Gallerien von Florenz, Dresden, München und Pest befinden, so war es gewiß keine leichte Sache, eine genügende Anzahl Werke zusammenzubringen, um den Namen ‚Ausstellung‘ rechtfertigen zu können. So blieben z. B. die Bemühungen des Komitees, aus England, wo bekanntermaßen der weitaus größte Teil von Angelika Kauffmanns Arbeiten zu suchen ist, das eine oder andere Bild zu erhalten, leider völlig erfolglos, ebenso erlitten die Ansuchen an die verschiedenen staatlichen Gallerien um leihweise Überlassung ihrer Werke ablehnenden Bescheid.“

Dennoch wurde die Ausstellung als Erfolg gewertet. 1912 wandten sich Kaufmann-Nachkommen aus Bezau an den Museumsverein. Sie hatten ein Angebot eines Interessenten aus Ulm, der für zehn Gemälde 20.000 Kronen bot. Zum selben Preis boten sie die Werke dem Landesmuseumsverein, der – da die Mittel fehlten – binnen kurzer Zeit 25.000 Kronen durch einen Spendenaufruf hereinbrachte. Durch diese Transaktion, die man allerdings noch genauer untersuchen sollte, gelangten vier Kauffmann-Gemälde und zwei Kopien in die Sammlung des Museums. Dann geschah wieder lange nichts: Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu neuerlichen Ankäufen. Zwischen 1952 und 2018 wurden 14 Gemälde erworben, zuletzt ein spätes Selbstbildnis der Künstlerin, das gemeinsam mit der Gemeinde Schwarzenberg angekauft werden konnte, ein ungewöhnlicher Vorgang, der aber auch zeigt, wie schwierig es geworden ist, mäßig teure Werke zu erwerben.

Manch eine Erwerbung hat einen spannenden Hintergrund: Elmar Vonbank, damaliger Direktor des Landesmuseums, schrieb 1952 in Reaktion auf ein Inserat, in dem ein Kauffmann-Gemälde angeboten wurde: „Wir sind ständig bemüht, noch etwa erreichbare Bilder von der Hand unserer Landsmännin zu erwerben.“ Als im selben Jahr bekannt wurde, dass ein Kauffmann- Gemälde in Zürich versteigert werden würde, beschloss die Landesregierung, es zu erwerben. Man brachte in Erfahrung, dass das Kunstwerk – es handelte sich um das Gemälde „Heinrich IV. zwischen Ruhm und Liebe“ (1788) – 1946 in London versteigert worden war. 1952 wurde es dann tatsächlich ersteigert und kam ins Vorarlberger Landesmuseum. Die Vorarlberger Landesregierung bzw. ihre Beauftragten waren sich durchaus bewusst, dass die Provenienz des Bildes problematisch war, das ist durch entsprechende Anfragen belegt; es hätte ja – abgesehen von der Beschlagnahmung durch Großbritannien – zuvor in jüdischem Besitz sein können. Aber man erfuhr damals nicht viel mehr, als dass es 1946 versteigert worden war. Die Tatsache, dass das Bild Eigentum der Hamburger Kunsthalle war, die es ihrerseits der Deutschen Botschaft in London als Leihgabe überlassen hatte, war damals unbekannt. Das Bild war dann als Feindvermögen beschlagnahmt und versteigert worden. Selbstverständlich stellt sich die Frage, wie so eine Erwerbung heute zu bewerten ist. Juristisch ist die Sache klar: Die Hamburger Kunsthalle hätte bei der gegenwärtigen Rechtslage keine Chance, etwaige Ansprüche durchzusetzen. Wie diese Erwerbung allerdings nach ethischen Gesichtspunkten zu bewerten ist, diese Frage müsste von einem Moraltheologen oder einem Professor für angewandte Ethik in Museumsdingen geklärt werden.

Zur Geschichte der Sammlung gehören aber noch andere wichtige Aspekte. Mindestens so wichtig wie die Entstehung ist die Frage, was man mit einer derartigen Sammlung macht. Wer macht welche Ausstellungen? Wer erforscht das Werk der Künstlerin? Wer erforscht ihre Biografie? Was gibt es für Erkenntnisse? Über die Leistungen jener, die wie Claudia Helbok, Helmut Swozilek, Oscar Sandner, Waltraud Maierhofer, Wendy Wassyng Roworth, Angela Rosenthal, Bettina Baumgärtel und viele andere zu Kauffmann geforscht haben, muss eigens berichtet werden. Denn das ist eine andere Geschichte.